Manifest

logo_kein_assisstierter_suizid_2_oldArbeitsbündnis „Kein assistierter Suizid in Deutschland!“
Dr. med. Susanne Ley
Postfach 68 02 75, 50705 Köln
E-Mail: arbeitsbuendnis@kein-assistierter-suizid.de

Köln, 15.8.2015

Manifest

Der Lebensschutz in Deutschland ist wieder in Gefahr.
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum assistierten Suizid liegen dem Parlament derzeit vier Gesetzentwürfe vor. Drei der vier Anträge fordern, dass die Beihilfe zur Selbsttötung eines Menschen, auch für Ärzte, rechtlich ausdrücklich zugelassen werden soll. Sie unterscheiden sich lediglich in der Indikation, den Ausführungsmodalitäten und der Bestimmung des Personenkreises, der einem anderen Menschen straffrei bei der Selbsttötung assistieren darf. Dies widerspricht zutiefst dem 2400 Jahre alten hippokratischen Ethos der Ärzte, sich nicht an der Tötung eines Menschen zu beteiligen und der Menschlichkeit eines jeden. Der Lebensschutz ist in unserem Grundgesetz verankert, sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Unser Staat hat die uneingeschränkte Pflicht, das Leben seiner Bürger zu schützen. Wenn es ein Land mit einem Schutzwall gegen Euthanasie geben sollte, dann ist das Deutschland mit seiner Geschichte.

Es gibt keinen Grund für die Beihilfe zur Selbsttötung eines anderen Menschen. Wenn der Arzt – mit der Intention, das Leiden eines schwer kranken, sterbenden Menschen nicht unnötig zu verlängern – eine medizinische Maßnahme unterlässt, reduziert oder abbricht, macht er sich schon heute nicht strafbar. Außerdem ist es dem Arzt erlaubt, eine lindernde medizinische Behandlung durchzuführen, auch wenn dadurch ungewollt das Leben des schwer kranken, sterbenden Menschen möglicherweise verkürzt wird. Angesichts der heute schon zulässigen Möglichkeiten muss niemand Sorge haben, dass im Falle einer schweren, unheilbaren und tödlich verlaufenden Krankheit sein Leiden unnötig verlängert wird.

Der Öffentlichkeit wird suggeriert, es läge den verschiedenen Gesetzentwürfen die übereinstimmende Absicht zu Grunde, die Gesetzgebung zum assistierten Suizid zu verschärfen. Betont wird dabei, dass die gewerbsmäßige Beihilfe zum Suizid strafbewehrt verboten werden soll. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit. In den Medien wird meistens der Antrag des Abgeordneten Brand favorisiert, der als sogenannter „Weg der Mitte“ zwischen „zwei Extremen“ – weitgehende Freigabe (Künast) und weitgehendes Verbot (Sensburg) – bereits jetzt als der einzig mehrheitsfähige Entwurf bewertet wird.

Tatsächlich will der Abgeordnete Brand im zweiten Teil des Gesetzentwurfes die Suizidbeihilfe rechtlich für „Angehörige und andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen“, d.h. auch für Ärzte, ausdrücklich straffrei stellen. Genau die Personen, die nach unserem Recht eine Garantenstellung für den Schutz des Lebens haben, sollen nun ausdrücklich straffrei gestellt werden, wenn sie ihren Angehörigen, Nahestehenden oder Patienten bei der Selbsttötung assistieren. Dem steht entgegen, dass in Deutschland unterlassene Hilfeleistung unter Strafe steht (§323 StGB). Das Prinzip der Hilfeleistung gilt auch im Falle eines Suizidversuchs. Folgerichtig ist daher, dass „Tötung auf Verlangen“ strafbewehrt verboten ist (§216 StGB). Aus dem bisherigen Fehlen einer rechtlichen Normierung des assistierten Suizids kann nicht abgeleitet werden, dass er erlaubt ist.
Bereits 1975 sprach das Bundesverfassungsgericht in einer wegweisenden Stellungnahme zur Abtreibungsdebatte dem Schutz des Lebens höchsten Wert zu. „(…) Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst zu wahren weiß. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen. (…) Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muss, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“I

Wir stimmen mit den Ausführungen von Prof. Hillgruber überein, dass es bei der Beihilfe zum Suizid und bei der Tötung auf Verlangen nicht nur um den Schutz des individuellen Lebens vor Selbstzerstörung, sondern auch „um dessen Schutz vor den Handlungen Dritter“ geht. Der Dritte macht sich das Unwert-Urteil eines suizidalen Menschen zu eigen. Das steht ihm in keiner Weise zu. „Der Staat muss verhindern, dass Private, seien es Angehörige, Ärzte oder Dritte, andere Menschen auf Verlangen töten. Tragender Grund dafür ist die das Fundament der staatlichen Schutzpflicht für das Leben bildende Garantie der Menschenwürde (Art. 1, Abs. 1 GG). `Die Würde des Menschen ist unantastbar´ heißt, dass das Leben eines Menschen niemals und von niemandem rechtmäßig mit der Begründung ausgelöscht werden darf, es sei nicht mehr wert, gelebt zu werden. Der Lebensmüde bringt durch seine Entscheidung für den Tod zum Ausdruck: Mein Leben ist es für mich nicht mehr wert, weiter gelebt zu werden. Der Dritte, der auf seine Bitte hin die Tötungshandlung vornimmt und damit die Letztverantwortung für das Geschehen übernimmt, übernimmt diese Einschätzung als externe: Für diesen Menschen ist es besser, zu sterben, als weiter zu leben. Sein Leben ist nicht mehr lebenswert. Eine Rechtsordnung aber, die auf der unantastbaren Würde des Menschen, jedes Menschen gründet, die jedem Menschen Wert und Würde zuschreibt, kann die handlungsleitende externe Bewertung eines menschlichen Lebens als `nicht mehr lebenswert´ unter keinen Umständen akzeptieren.“ II Diese Begründung gilt gleichermaßen für die Tötung auf Verlangen wie für den assistierten Suizid, denn auch dem assistierten Suizid geht immer voraus, dass ein Menschenleben von Dritten als lebensunwert beurteilt wird. Damit wird die Grenze zur Euthanasie überschritten.

Vergleicht man die rechtfertigende Argumentation für den assistierten Suizid von heute mit der Argumentation für Euthanasie aus der Vergangenheit, zeigen sich beklemmende Parallelen: Die Propagierung der Mitleidstötung stand am Anfang des Euthanasieprogramms der Nazis. Hitler sprach 1939 in seinem Euthanasieerlass davon „den Gnadentod zu gewähren“III Um den Widerstand der Bevölkerung gegen Euthanasie zu brechen, wurde 1941 der Propagandafilm „Ich klage an!“ veröffentlicht.IV „Es begann mit der Auffassung, die in der Euthanasiebewegung grundlegend ist, dass es Zustände gibt, die als nicht mehr lebenswert zu betrachten sind. In ihrem Frühstadium betraf diese Haltung nur die schwer und chronisch Kranken. Nach und nach wurde der Bereich jener, die unter diese Kategorie fallen, erweitert und auch die sozial Unproduktiven, die ideologisch Unerwünschten, die rassisch Unerwünschten dazugerechnet. Entscheidend ist jedoch zu erkennen, dass die Haltung gegenüber unheilbar Kranken der winzige Auslöser war, der diesen totalen Gesinnungswandel zur Folge hatte.“ V Bereits im Jahr 1920 argumentieren Binding und Hoche zum Autonomiegedanken, der Mensch sei „der geborene Souverän über sein Leben“ und es sei „jedermanns Freiheit, mit seinem Leben ein Ende zu machen“. Diese „Freiheit“ sei das „erste aller Menschenrechte“.VI Die Analyse von Klaus Dörner weist darauf hin, dass die aus dem eher liberalen Bürgertum stammenden Psychiatrie-Ordinarien für das Argument der Selbstbestimmung empfänglich waren. Dies kommt in ihrem Sterbehilfegesetzentwurf von 1940 zum Ausdruck: Hiernach kann der einzelne Bürger freiwillig in sein Recht auf den eigenen Tod einwilligen. Für die Menschen, die nicht mehr für sich selbst sprechen können, tritt an deren Stelle der Staat ein. Somit wird Selbstbestimmung zur Fremdbestimmung.VII

Betrachten wir dies unter dem Aspekt des demografischen Wandels, d.h. einer immer älter werdenden Gesellschaft und kommen dann noch ökonomisch schwierige Zeiten hinzu, besteht die Gefahr, dass der Mensch immer stärker nach seinem Nutzen bewertet wird. „So kann es sein, dass er sich im entsprechenden gesellschaftlichen Diskurs als Ballastexistenz empfindet oder auch staatlich so gesehen wird.“VIII Dies wird besonders deutlich in den alarmierenden Äußerungen von Jacques Attali, langjähriger Berater von Mitterrand und Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung: “Sobald er das Alter von 60-65 Jahren überschreitet, lebt der Mensch länger als seine Fähigkeit zu produzieren und dann kostet er die Gesellschaft eine Menge Geld…In der Tat, aus gesellschaftlicher Sicht ist es vorzuziehen, dass die menschliche Maschine eher stoppt, als einem fortschreitenden Verfall entgegenzusehen. (…) Euthanasie wird auf jeden Fall eines der wichtigsten Instrumente für die Zukunft der Gesellschaften…“ IX

Die Entwürfe im Einzelnen:
Am 26.8.15 wurde durch eine Meldung der „Welt“ bekannt, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass drei der vier vorliegenden Gesetzentwürfe verfassungswidrig sein dürften. Demnach scheint allein der Gesetzentwurf des Abgeordneten Prof. Sensburg grundgesetzkonform zu sein. Außerdem dürfe das Standesrecht der Ärzte nicht durch den Bundesgesetzgeber ausgehebelt werden. X

1. Der Entwurf des Abgeordneten Brand wird in den Medien als der „Weg der Mitte“ oder der „moderate Antrag“ dargestellt. Suggeriert wird, es handele sich um eine Verschärfung der Gesetzgebung zum assistierten Suizid. In einem ersten Teil stellt er die geschäftsmäßige Beihilfe unter Strafe. Der zweite Teil des Gesetzes wird meist verschwiegen: Gerade diejenigen Menschen, die nach unserem geltenden Recht eine Garantenpflicht zum absoluten Lebensschutz haben, d.h. Angehörige und Nahestehende (z.B. der Arzt), sollen ausdrücklich straffrei gestellt werden, wo bisher eine strafrechtliche Normierung fehlte. Diese ausdrückliche Straffreistellung wirkt tatverstärkend. Der Abgeordnete René Röspel (SPD) sagt hierzu im Bundestag: „Sie (die Ärzte, Anmerk. d. Verf.) müssen über das Ende von Leben entscheiden, sie müssen loslassen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann.“XI Dies widerspricht zutiefst der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit eines jeden. Über das Ende des Lebens entscheidet die Natur oder Gott, aber nicht der Arzt.

2. Mit dem Entwurf der Abgeordneten Hintze und Lauterbach soll einem lebensmüden Menschen das Recht auf Beihilfe zum Selbstmord gewährt werden. Der „Helfer“ soll ein Arzt sein, der nicht mehr an sein Standesrecht gebunden ist. Die Approbationsordnung soll diesbezüglich geändert werden. Der assistierte Suizid soll im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert werden. Der Abgeordnete Lauterbach spricht in der parlamentarischen Debatte im Zusammenhang mit der Suizidassistenz von „Freischuss“ und fragt seine Kollegen im Bundestag, wie viele „Versuche“ er als Suizidhelfer hätte, bevor der Staatsanwalt tätig wird.XII Die Suizidbeihilfe darf laut Gesetzentwurf nur erfolgen, wenn eine „unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt.“XIII Schon in seiner mündlichen Begründung im Parlament dehnt der Abgeordnete Lauterbach die Indikationen auf alle Lebensmüden aus: „Wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht werden, die also nicht sterbenskrank sind, dann können aus unserer Sicht die Kammern (Ärztekammern, Anmerk. d. Verf.) frei bestimmen, ob demjenigen, der lebenssatt, aber nicht vom Tod bedroht ist, ein Arzt helfen kann oder nicht.“ XIV

3. In dem Entwurf der Abgeordneten Künast und Sitte soll die Hilfe zur Selbsttötung eines sterbewilligen Menschen grundsätzlich straflos gestellt werden, außer wenn sie gewerbsmäßig erfolgt. Die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid soll grundsätzlich „positiv gesetzlich normiert“XV werden. „Wer in organisierter oder geschäftsmäßiger Form Hilfe zur Selbsttötung leistet, hat die Pflicht, alle dazu notwendigen Handlungen zu dokumentieren. Für Ton- oder Bildaufnahmen ist eine schriftliche Einwilligung des sterbewilligen Menschen erforderlich.“XVI „Die Hilfe zur Selbsttötung kann eine ärztliche Aufgabe sein und darf Ärzten nicht untersagt werden. Dem entgegenstehende berufsständische Regelungen sind unwirksam.“ XVII

4. Eine klare Werteentscheidung für das Recht auf Leben als dem höchsten Rechtsgut des Menschen, stellt der Entwurf des Abgeordneten Prof. Sensburg dar. Er sieht ein generelles Verbot für den assistierten Suizid vor, wie es in anderen europäischen Ländern existiert (England, Finnland, Irland, Italien, Österreich, Polen, Spanien).XVIII

„Ich rufe die Menschheit auf zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Diese Ethik macht keinen Unterschied zwischen wertvollerem und weniger wertvollem Leben, höherem und niedrigerem Leben. Sie lehnt eine solche Unterscheidung ab (…) Die unmittelbare Tatsache im Bewusstsein lautet: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ XIX


I Urteil des BVerfGE 39,1: Schwangerschaftsabbruch I, Abs. 147-149 vom 25.02.1975
II Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 144 vom 25.06.2015, Seite 6
III Tödliche Wissenschaft, B. Müller-Hill, Reinbek 1994
IV Ich klage an! Regie: Wolfgang Liebeneiner, D 1941
V Töten oder Sterben lassen, R. Spaemann/ Th. Fuchs, Herder 1997
VI Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Prof. Dr. jur. et phil. Karl Binding, Prof. Dr. med. Alfred Hoche, 1920
VII Tödliches Mitleid – Von der NS-Euthanasie zur aktiven Sterbehilfe, von Klaus Dörner, Süddt. Zeitung Nr. 283 vom 08.12.2006, Seite 7
VIII Ebenda
IX Jaques Attali, L´avenir de la vie (Die Welt von morgen), 1981
X www.welt.de/145642944
XI Plenarprotokoll 18/115, Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 115. Sitzung, Berlin, den 2. Juli 2015, Seite 11063
XII Ebenda, Seite 11053
XIII Gesetzentwurf Ärztlich begleitete Lebensbeendigung, Seite 4, § 1921a
XIV Plenarprotokoll 18/115, Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Seite 11054
XV Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, Seite 2
XVI Ebenda, Seite 6, § 8
XVII Ebenda, Seite 5, § 6
XVIII Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung
XIX Albert Schweitzer, Ehrfurcht vor dem Leben – Grundtexte aus fünf Jahrzehnten, C. H. Beck 2013

 

Manifest herunterladen: hier klicken